Niederlande: Meteorologen für falsch Wettervorhersagen in den Knast?
Wo auch immer auf dem Erdenrund, Wetter gibt es überall und es bietet einen schier unendlichen Gesprächsstoff. Das Wetter kennt keine Ruhe und keinen Schlaf. Am nächsten Tag präsentiert es sich häufig unerwartet in neuem Gewande und zeigt von anderem Charakter. Das Wetter ist von seinem Wesen her abwechslungsreich, veränderlich und nicht leicht vorhersagbar. Es spielt gerne mit verdeckten Karten. Das Wetter lebt nach dem Motto: nichts ist so beständig wie der Wandel, die Unbeständigkeit.
Wetteranalyse – Wettprognose: interessant und riskant!
Dies macht die Arbeit wie das Leben eines Meteorologen so abwechslungsreich und interessant. Ständig ist er dem Wetter auf der Spur, kann es aber nicht ein- und über holen. Wie ein Hase schlägt es häufig Hacken, die zu kleinen wie größeren Fehlvorhersagen führen. Manche nennen daher die Meteorologen auch abschätzig „Meteorolügen“. Jedenfalls ist ein „Wetterfrosch“ sich immer dessen bewusst, dass eine Wettervorhersage nicht eintreffen muss, mag sie auch noch so einfach erscheinen. Seine Vorhersagen sind für die Öffentlichkeit gemacht, nicht verklausuliert oder verschlüsselt. Im Gegenteil, sie müssen so formuliert werden, dass sie Jedermann verstehen kann. Der Meteorologe muss sein Wissen offenbaren wie der Händler auf dem Markt und ist permanent kontrollierbar. Jedermann kann die über die Medien verbreiteten Vorhersagen mit der Wirklichkeit vergleichen und sein Urteil fällen.
Die Wettervorhersage ist angewandte Physik der Atmosphäre. Die physikalischen Gesetze sind durch ständige Beobachtungen und Messungen weitgehend bekannt. Doch die Bewegungsabläufe der Luftströmungen, die Lebenszyklen der Hoch- und Tiefdruckgebiete bergen derart viele Freiheitsgrade, dass deren Kombination immer mehrere Lösungen anbietet, unter denen sich dann der Meteorologe zu entscheiden hat. Irrt man sich bei der Zugrichtung eines Tiefs bei Island nur um ein bis zwei Winkelgrade und bei der Geschwindigkeit um wenige Kilometer pro Stunde, so kann das bei uns in 2.000 km Entfernung zu erheblichen Abweichungen führen. Auch Intensitäten von Niederschlägen können sich abrupt ändern. Man braucht nur einmal Zeitrafferfilme von Satelliten sich anzuschauen, um zu sehen, wie schnell Wolken entstehen und vergehen und sich Formationen verändern.
Die als „Wetterfrösche“ in der Öffentlichkeit bekannten ‚Synoptische Meteorologen‘ sind in der Regel ob der Komplexität der Materie Wetter eher zurückhaltend bei ihren Vorhersagen und in der Sprache knapp. Sie präsentieren sich nicht als Marktschreier, die Lieferung und Qualität einer Ware anpreisen, ohne beides garantieren zu können. Doch dies hat sich in den letzten Jahrzehnten markant geändert. Mit dem Computer, dem ‚großen Bruder‘, im Rücken werden die Wettervorhersagen so präsentiert, als ob es keinen Irrtum mehr gäbe. Da wird „gutes Wetter“ versprechen, ja garantiert, obgleich der vortragende Meteorologe weiß, dass er das Wetter nicht „machen“, also nichts garantieren kann. Es ist wohl diese mit überzogenem Selbstbewusstsein vorgetragene Überheblichkeit, die weder von den Rundfunk- noch den Fernsehsendern mehr gebremst wird, die in den Niederlanden dazu geführt hat, eine Debatte darüber zu führen, ob nicht „Wetterfrösche“ für falsche Prognosen haftbar zu machen.
Der Ton macht die Musik, auch bei Wettervorhersagen
Errare humanum est! Irren ist menschlich, das weiß Jeder! Nicht zutreffende Wettervorhersagen sind zunächst unschädlich, denn sie können „gutes“ wie „schlechtes“ Wetter betreffen, sind also gleichverteilt. Entscheidend ist die Art und Weise der Präsentation. Sie schaden vor allem dann dem Tourismus, wenn sie Besucherströme umlenken und zu Einnahmeverlusten führen, vor allem in den Badeorten entlang der Nord- und Ostseeküste. Doch dieses muss nicht sein, wenn man bei den Wettervorhersagen nicht für sich Unfehlbarkeit beansprucht. Es kommt auf die Formulierung an. Vor allem sollten sich Wettervorhersagen auf einen Zeitraum beschränken, der verantwortbar ist. Das sind maximal 3 Tage. Doch dagegen wird zunehmend verstoßen. Wenn dann die „öffentlichen“ und damit für „amtlich“ angesehenen Vorhersagen nicht stimmen, dann kann das ärgerliche, weil verheerende finanzielle Folgen für die Küstenorte haben. Die Behauptung der Kritiker, dass mehr als 50 Prozent der Vorhersagen mit der Realität nichts zu tun haben, schießt natürlich weit über das Ziel hinaus. Der Charakter des Wetters ist an den Lebenszyklus von Hoch- und Tiefdruckgebieten gebunden, so dass die primitivste und kein Fachwissen voraussetzende Vorhersage, dass das morgige Wetter dem heutigen entspreche, zu etwa 60 Prozent eintrifft.
So populär die Forderung klingen mag, die Wetterfrösche für ihre Fehlvorhersagen zu bestrafen und in den Knast zu stecken, so einfach ist die Umsetzung dennoch nicht, denn es müsste von Fall zu Fall zumindest grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden können. Zudem müsste dies auf alle menschlichen Vorhersagen angewandt werden, denn alle sind mit irgendwie mit finanziellen Nach- aber auch Vorteilen verbunden. Das reicht von den Börsenprognosen bis zu den Konjunktur- und Steuerschätzungsprognosen der vom Staat bestellten „Wirtschaftsweisen“. Für alle Prognosen gilt generell nach Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832): „Es irrt der Mensch, so lang er strebt“!
Dabei kommt es ganz entscheidend darauf an, was vorhergesagt wird. Die meisten Vorhersagen sind schlichte Extrapolationen oder Trendabschätzungen. Wettervorhersagen haben jedoch einen völlig anderen Charakter. Hierbei geht es schlicht um den Versuch, die Dynamik der Atmosphäre zu erfassen und die Bewegungsabläufe möglichst genau abzuschätzen. Luftdruckgebilde sind nicht konstant, haben eine Art Lebenszyklus und werden von einer sich stets verändernden Höhenströmung gesteuert. Diese Aufgabe stößt schnell an ihre Grenzen, denn das Wetter spielt sich zwar in einem gewissen „Rahmen“ ab, aber es ist keineswegs deterministisch dahingehend, dass Ursache und Wirkung zu Kausalbeziehungen verknüpft werden können. Die sehr wichtigen Anfangs- und Randbedingungen des Wetters sind nicht nur unscharf bekannt, allein weil die Dichte des Wetterbeobachtungsnetzes viel zu gering ist.
Die Energie kommt von der Sonne, doch der Boden ist Heiz- wie Kühlfläche zugleich
Man muss berücksichtigen, dass die Atmosphäre zwar der Erdoberfläche aufliegt und damit eine untere Begrenzung hat, aber zum Himmel hin ein „offenes Ökosystem“ ist. Eine Obergrenze der Atmosphäre gibt es praktisch nicht. Die Energiequelle für alles Leben, auch die Bewegungen der Atmosphäre, ist die Sonne. Die Atmosphäre ist eine Gashülle, deren Existenz der Gravitationskraft zu verdanken ist. Der thermische Zustand eines Gases wird durch die Größen Druck, Volumen und Temperatur beschrieben. Der Quotient Druck mal Volumen geteilt durch die Temperatur ist konstant. Steigt man senkrecht empor, dann nimmt zwar die Intensität der Sonnenstrahlung mit der Höhe zu, aber mit dem Druck die Temperatur bei gleichem Volumen ab. Die Temperatur über einem Ort nimmt mit der Höhe ab und weist darauf hin, dass zwar die Sonne in etwa 150 Millionen Kilometer Entfernung, Lichtstrahlen brauchen zur Überwindung dieser Wegstrecke knapp 8 Minuten, die Energiequelle für die Erde ist, diese aber von der Erdoberfläche zuerst absorbiert werden muss. Die Erdoberfläche erwärmt sich und gibt dann diese Wärme als unsichtbare „Temperaturstrahlung“ in und durch die Atmosphäre ab. Wärme wird auch direkt durch Leitung, also Molekülstöße, an die Luft abgegeben. Die so erwärmte Luft dehnt sich aus, bekommt thermischen Auftrieb, steigt auf und kühlt sich dabei automatisch ab. Wenn die Lufttemperatur sich dem Taupunkt genähert hat, tritt Kondensation des vorher unsichtbaren Wasserdampfes ein und sichtbare Wolken bilden sich.
Wenn sich am Nachmittag die Sonne langsam unter dem Horizont verschwindet, nimmt mit der Abnahme des Neigungswinkels die Bestrahlung pro Flächeneinheit ab. Zu dem Zeitpunkt ist der Boden am stärksten aufgeheizt, strahlt also am meisten Wärme ab. Wenn die Ausstrahlung größer ist als die Einstrahlung, beginnt die Abkühlung des Bodens. Der Boden wandelt sich von einer Heizfläche in eine Kühlfläche für die aufliegende Luft. Zwangsläufig bilden sich Bodeninversionen. Dann ist der Boden am kältesten und mit der Höhe nimmt die Temperatur zu, statt abzunehmen. Wer barfuß über Steinplatten und dann den Rasen betritt, der sich schon feucht anfühlt, kann dies hautnah erleben. Die Grashalme waren wie die Steinplatten der gleichen Sonnenbestrahlung ausgesetzt, aber sie wurden nicht so heiß, weil sie sich durch Verdunstung kühlten. Wenn sie sich schneller abkühlen, so dass sich Tau an ihnen bilden kann, dann deswegen, weil sie im Gegensatz zu den Steinplatten keine große Wärmespeicherkapazität haben. Die Entstehung von Tau wie die Bildung von Bodeninversionen sind eine Tatsache, die der Behauptung von der Existenz einer wärmenden „Gegenstrahlung“ den Boden unter den Füßen wegzieht.
So einfach die Beschreibung des thermischen Ist-Zustandes der Atmosphäre scheinen mag, umso komplizierter ist nun die Beschreibung des dynamischen Zustandes. Wie Jeder beim Badeurlaub und heiterem Wetter erlebt hat, erwärmen sich Wasser und Strand unterschiedlich schnell, kühlen sich auch unterschiedlich schnell ab. So entsteht die Land- und Seewind-Zirkulation. Über dem am Vormittag erhitzten Sand steigt die Luft auf und zieht kühle Meeresluft an. Sieht man dann an über Land eine Linie von Haufenwolken, so ist es direkt am Strand noch meist wolkenfrei. Dies macht den Reiz eines Badeurlaubs aus und macht viele Wettervorhersagen zu Fehlprognosen, denn darin wird auf solche Feinheiten nicht eingegangen. Nachts mit der unterschiedlich schnellen Abkühlung kehren sich die Strömungsverhältnisse um. Nun ist es die relativ warme See, die die kühle Landluft anzieht. Beim Wechsel von Berg- und Tal-Wind spielen sich physikalisch analoge Vorgänge ab.
Und nun stellen Sie sich die Erde als Ganzes vor mit ihrer Oberfläche von etwa 510 Millionen Quadratkilometer und einem Meer-Land-Verhältnis von rund 70 zu 30 Prozent. Diese riesige „Kugel“ dreht sich alle 24 Stunden um die eigene Achse, wobei sich ständig der Neigungswinkel der Sonne zur Erdoberfläche ändert, die zudem topographisch stark gegliedert ist. Diese „Kugel“ dreht sich in 365 Tagen einmal um die Sonne, wobei die Erdachse nicht senkrecht steht, sondern um 23,5 Grad, die Schiefe der Ekliptik, geneigt ist. Dadurch ändert sich ständig der Höhenwinkel der Sonne und mit ihm die Tageslänge. Im Sommerhalbjahr empfängt die Nordhemisphäre die stärkste Sonneneinstrahlung pro Fläche. Ab 21. September, dem Herbstanfang, kehren sich die Verhältnisse um. Den Intensitätsänderungen der Einstrahlung folgen die bodennahen Temperaturen, was auch nicht weiter verwundert. Die Temperaturen sind ein Maß für die Intensität der Molekülbewegung der Luftmoleküle. Der Anteil an CO2-Molekülen von etwa 0,04 Prozent oder 400 ppm (Teile per Million) spielt dabei keine messbare Rolle.
Wetter spielt sich in der Natur ab und nicht im Computer
Wer sich einmal den Luxus gönnt und sich über einen Monat die alle 6 Stunden vom Wetterdienst herausgegeben Wetterkarten anschaut, wird über den raschen Wechsel des Wetters erstaunt sein und ein Gefühl dafür entwickeln, welche Überraschungen da auftreten und wie schwierig es ist, eine einigermaßen genaue Wettervorhersage abzugeben. Er wird von dem menschlich hohen Ross heruntersteigen und wie der Arzt Albert Schweitzer (1875-1965) eine „Ehrfurcht vor dem Leben“ empfinden.
Wetter ist Leben und wer es lange genug verfolgt, hat Ehrfurcht vor dem Leben der Atmosphäre. Wetter hat eine Wirkmacht und besitzt Kräfte, die der Mensch nicht bändigen kann. Unsere Ohnmacht vor dem Wetter verstecken wir hinter dem Wort „Unwetter“. Haben wir plötzlich mehr Angst vor dem Wetter, weil es Mode geworden ist, jedes Gewitter mit einem „Unwetter-Potential“ auszustatten? Dies hat möglicherweise tiefenpsychologische Gründe: Je mehr wir uns in einer Art Größenwahn als Klimaschützer empfinden, desto mehr müssen wir normale Wettervorgänge zu Katastrophen aufbauschen, um unsere Ohnmacht vor der Natur zu kaschieren. Insgeheim wissen wir alle, das Wetter ist nicht machbar. Der Mensch hat keine Macht über das Wetter, er kann nicht aus heißen Südwinden erfrischende Nordwinde machen.
Der Mensch hat allein deswegen keine Macht über das Wetter, weil er nicht mit der Sonne energetisch konkurrieren kann. Die Sonne mit ihrer schier unermesslichen Energiefülle setzt die Atmosphäre in Bewegung und nicht der Mensch, der nach Sonnenenergie lechzt, von ihr abhängig und sie nur nutzt. Der Mensch ist Glied einer großartigen „Schöpfung“. Es geht darum, die extreme Vielfalt an Wetter auf der Erde und der diese steuernden Energien wahrzunehmen und wieder ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie komplex alles Naturgeschehen ist und wie unendlich schwierig „gute“ Wettervorhersagen sind. Fehlprognosen sind das tägliche Leid eines Meteorologen, aber wenn er seinen Beruf ernst nimmt, hat er keinen größeren Ehrgeiz, als diese so gering wie möglich zu halten. Sie für strafbar zu erklären, heißt keine Ahnung zu haben.
Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr?
Nicht die Fehlprognosen sind das Problem. Sie muss man verzeihen, aber nicht die Arroganz und Selbstherrlichkeit, mit der immer wieder in Rundfunk und Fernsehen das Wetter präsentiert wird. Die Programmdirektoren und Intendanten sollten wieder bei den Wetterberichten auf mehr Sprachhygiene achten. Die Sprache samt Gestik müssen nicht steif, sie können durchaus salopp sein, aber der Meteorologe übersteigt seine Fähigkeiten total, wenn er den Wetterbericht als Teil der Unterhaltung sieht und mit dem Brustton der Überzeugung meint, ein bestimmtes „Wetter“ versprechen oder gar garantieren zu können, und das über 3, 4, 5 und mehr Tage. Mag auch der „große Bruder“ Computer schützend hinter ihm stehen, als Meteorologe muss er wissen, auf welch dünnem Eis numerische Wettervorhersagen stehen und wie fehlerhaft die Modelle sind. Nur durch etwas mehr Disziplin und Einsicht in die Unzulänglichkeiten bei jeder Wettervorhersage könnte in der Öffentlichkeit viel Unmut vermieden werden.
Jeder Bürgermeister oder Kurdirektor weiß, wie komplex und kompliziert das Geschäft mit dem Wetter ist. Bei ihrer Kritik an den Fehlvorhersagen geht es nicht um diese selbst, sondern eher um die „Darsteller“, die das Wetter medial verkaufen und durch unverantwortliche wie unvernünftige Äußerungen und Pauschalierungen Urlauberströme umlenken können. Dies betrifft auch die Alpen, für die der Schnee bereits im Jahr 200 für „Schnee von gestern“ deklariert wurde. Wetteransager, die zur Spökenkiekerei tendieren und eine „Liebe zu Extremwettern“ an den Tag legen, gehören nicht in die Öffentlichkeit. Wer als Moderator beim Durchzug einer ganz normalen Gewitterfront im Rundfunk von „Weltuntergangswetter“ faselt oder jeder Gewitterfront ein „Unwetterpotential“ andichtet, gehört nicht ans Mikrophon. Bei einem Metier wie dem Wetter muss die verbale Sensationsgier gemäßigt werden. Wetter ist nicht machbar!
Strikte Zurückhaltung ist insbesondere geboten angesichts unserer Ohnmacht vor dem Wetter und seinen Gewalten. Wir können das Wetter nicht schützen, ihm gar Befehle und Weisungen erteilen. Wir müssen uns vor dem Wetter schützen. Damit wir das rechtzeitig tun können, dafür sind die Wettervorhersagen gedacht. Das Wetter ist kein medialer Spaßfaktor!
Oppenheim, den 19. August 2012 Dr. phil. Wolfgang Thüne, Diplommeteorologe