10thMai

Buchbesprechung: Merten, Hans-Lothar; Vertreibung aus dem Paradies – 100 Jahre Steueroasen zwischen Nummernkonten, Briefkastenfirmen und Karibikinseln; Finanzbuchverlag; München 2017; 271 Seiten; ISBN 978-3-95972-027-4; 24,99 Euro

Der Titel ist nicht ganz passend, handelt es sich doch nicht um eine aktive Vertreibung von Menschen, sondern eine „Flucht aus dem Paradies“ hinein „Steueroasen“, wo Geld prächtig gedeihen und sich vermehren kann. Nur „kleine Leute“ zahlen Steuern, das „große Geld“ ist scheu wie ein Reh und sucht sich gute Verstecke. Dies ist kein deutsches, sondern ein weltweites Phänomen, das selbst von Weltmächten genutzt wird, indem sie selbst Oasen anlegen, um steuerpflichtiges Geld anzulocken und ihm eine „ neue Heimat“ zu bieten.

Der Autor, Bankkaufmann und Betriebswirt führt in sechs Kapiteln durch die Materie. Er beginnt mit „verflixte Steuerwelt“. Natürlich wird die Besteuerung, als lästig empfunden, zumal diese immer beängstigendere Höhen erklimmt. Es ist daher legitim, dass jeder, ob Bürger oder Unternehmer, versucht, seine Steuerlast so gering wie möglich zu halten. Der Staat selbst, der seine Haushaltsdisziplin nicht wahrt, ist die treibende Kraft. Das Bestreben, Steuern zu sparen, erlaubt der Staat. Er erschafft „verfassungswidrige Gesetze“ und baut die „Gesetzeslücken“ ein. Geld kennt keine Grenzen und es war die Schweiz, die sich nach 1918 zur ersten „Steueroase“ entwickelte. Nach 1945 kam Tanger in Marokko, Liechtenstein und Panama hinzu. Inzwischen gibt es einen internationalen „Wettbewerb um Niedrigststeuern“, an dem sich auch die USA aktiv beteiligen. Jeder Staat besteuert anders und es lohnt daher, die Gesetze zu durchleuchten, und genau zu vergleichen.

 

Kapitel zwei trägt die Überschrift „Das Jahrhundert der Steueroasen – eine Zeitreise ins schwarze Loch der Weltwirtschaft“. Man findet dort die „sicheren Häfen“, wo man Zuflucht vor Steuern finden kann. Sie reicht vom steuerfreien Vatikanstaat bis zur „US-Mafia, die die Geldwäsche erfand“, bis hin zu dem „Panama Papers“. Ungarn verkauft Visa an reiche Ausländer und Italien bietet Steuervergünstigungen und EU-Reisefreiheit für Geld, denn „pecunia non olet“! So manche staatliche Erregung über Steuerflucht ist heuchlerisch. Ausgetrocknet ist das „Tafelgeschäft“ des „kleinen Mannes in der Heimat“, während die großen Geldschiebereien über Länder und Kontinente weiter florieren.

 

Im dritten Kapitel wird gut erklärt, „wie die Welt der Steueroasen funktioniert“. „Briefkastenfirmen sind globalisierter Kapitalismus in Reinkultur. Das Geschäft mit dem unsichtbaren Geldverkehr funktioniert von jedem Ort der Welt aus.“ Was ist legal, was ist moralisch legitim, was ist illegal? Immerhin werden weltweit in „Offshore-Gesellschaften“ 7 bis 10 Billionen Euro geparkt. Davon gibt es allein im US-Bundesstaat Delaware über 250 000! Wichtig: „Die US-Steueroasen bieten eine preiswerte und überaus robuste Form der Geheimhaltung“, im Gegensatz etwa zur Schweiz. Und Scheinfirmen funktionieren auch in Deutschland, wo sie problemlos Immobilien kaufen können. Sie verleihen ihren Namen an „Scheindirektoren“, damit die wahren Eigentümer nicht auftauchen. Dafür sucht man „ungebildete Menschen“, „die nicht verstehen und hinterfragen, was sie jeweils unterschreiben“.

 

In dem sehr umfangreichen und sehr informativen Kapitel vier geht es um eine Reise in „die Welt der Steueroasen“, rund um den Globus. Aber man muss nicht in die weite Welt schweifen, auch Andorra, Monaco, Luxemburg, Belgien, die Niederlande sind attraktive „Steuereldorados“. Man droht zwar mit dem moralischen Zeigefinger, aber auch die Weltbank, die Europäische Investitionsbank oder die deutsche Staatsbank KfW nutzen gerne diese Steueroasen! Doppelmoral? In den angelsächsischen Ländern werden Vermögen seit Jahrhunderten über „Trusts“ gehalten, um diese leichter auf die nächste Generation übertragen zu können. Vermögende suchen sichere Steuerhäfen in der Regel nicht aus steuerlichen Gründen – „bei ihnen stehen die Sicherung und der Schutz ihrer Vermögenswerte im Vordergrund“. Wenn man alles Geld zwecks „sozialer Umverteilung an den Staat“ geben würde, dann gäbe es bald kein Geld, das noch arbeiten würde, um auch Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen. Der Staat ist ein schlechter Hort, weil Politiker nur zu gerne Wohltäter spielen, mit fremdem Geld.

 

Das fünfte Kapitel beleuchtet „die Folgen internationalen Steuerwettbewerbs“. Staaten sind keineswegs altruistisch, sondern egoistisch und auf den eigenen Vorteil bedacht, denn sie müssen primär um das Wohl ihres Volkes bemüht sein. Es ist also mitnichten anrüchig, wenn die Länder rund um den Globus zur Lenkung von Investitionszuflüssen konkurrieren mit: „niedrigen Unternehmenssteuersätzen, Steuerfreijahren, höheren Abschreibungsmöglichkeiten, Subventionen, Deregulierung und dem Fortfall der Quellensteuer“. Steuern sind Kosten und deswegen gibt es „einen ruinösen Wettbewerb vieler Staaten um die niedrigsten Steuersätze“. Was den Gesamtsteuersatz betrifft, so rangiert Deutschland mit 48,8 Prozent an der Spitze, gefolgt von den USA (43,8), Schweiz (29,0), Hongkong 22,8, Kanada (21,0), Saudi-Arabien (14,5). Mazedonien lockt mit 7,4 Prozent. Werfen Sie einen Blick in die Schattenwelt der Steueroasen, es lohnt.

 

Oppenheim, den 9. Mai 2017

Wolfgang Thüne

Comments are closed.