06thApril

Buchbesprechung: Ebert, Vince: Unberechenbar – Warum das Leben zu komplex ist, um es perfekt zu planen. Rowohlt Polaris, Hamburg 2016, 316 Seiten, IBAN 978-3-499-63112-2, 16,99 €

Guru ist kein Ausbildungsberuf

Der Einstieg in das Buch ist wenig prickelnd und noch weniger ermutigend, wenn man liest, dass „Ihre Existenz das Produkt eines unglaublichen Zufalls“ ist, „unser Leben nicht den geringsten Sinn“ hat, „unsere Existenz nicht Teil eines universellen Plans“ ist, „jede Form von Glück letztlich auf Selbstbetrug“ beruhe und „Gefühle nicht berechenbar“ seien. Dennoch glauben die meisten von uns an das Gegenteil und auch Vince Ebert hält sich keineswegs streng an sein Credo und lässt ein kleines Hintertürchen offen: „Es ist ein fataler Irrtum anzunehmen, dass der Zufall ein Wirrwarr ohne Strukturbist“.

Als Physiker, dann Unternehmensberater und jetzt Kabarettist bezeichnet er die Tätigkeit von Beratern, Coaches und Trainern als „bezahlte Besserwisserei bei maximaler Verantwortungslosigkeit“. „Coach“ kann sich jeder nennen. Es ist kein Ausbildungsberuf und daher die „Abbrecherquote“ sensationell gering. Die Legende, Erfolg sei machbar und planbar, stammt „zum überwiegenden Teil von Menschen, die niemals erfolgreich ein Unternehmen gegründet oder geführt haben“. „Inzwischen nehmen sich sogar Coaches einen Coach, der sie coacht, wie man am besten coacht“. Man begegnet hier einem klassischen Statistikfehler, denn man ignoriert, dass „erfolglose Menschen nun mal keine Erfolgsbücher“ schreiben können. „Erfolgsgurus verwechseln allesamt ein komplexes System mit einem komplizierten System. Ein Flugzeug zu fliegen ist kompliziert, doch Menschen sind komplex. Und komplexe Systeme verhalten sich ziemlich unberechenbar. Bestes Beispiel ist die Politik. Doris Day hatte vollkommen recht, als sie in „Que sera, sera“ sang: „…the future’s not ours to see“!

 

In dem Kapitel „von schwarzen und blauen Schwänen“ steht. „Die Peinlichkeit, zu sagen: „Ich weiß es nicht“, ist für uns offensichtlich schlimmer, als etwas daherzuschwafeln, was sich im Nachhinein als kompletter Quatsch erweist“. Bleibt anzumerken, dass einzig Sokrates die Weisheit besaß zu sagen: „Ich weiß, dass ich nicht weiß“! Martin Luther prophezeite dreimal das Ende der Welt: 1532, 1538 und 1541. Ebert gibt allen modernen Apokalyptikern den Rat: „Wenn Sie einen Weltuntergang prognostizieren, achten Sie darauf, ihn weit nach Ihrem eigenen Tod zu legen.“ Ein Beispiel für die Treffsicherheit von Experten liefert der Sozialpsychologe Tetlock. Er hatte 248 Experten aller Wissensdisziplinen Prognosen machen lassen und diese nach 20 Jahren überprüft: „Das Ergebnis war niederschmetternd. Die Einschätzungen der Fachleute waren praktisch alle falsch“. Ebert: „Ich wundere mich jedes Mal, wie ernst man Leute nimmt, die es trotzdem immer wieder tun.“ Er vermied es dabei geschickt, sich konkret mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und seinen vielen Klimaexperten anzulegen.

 

Dabei ist die „Klimakatastrophe“ noch unwahrscheinlicher als der „schwarze Schwan“, der als Symbol von einem „extrem seltenen, unvorhersehbaren Ereignis“ angesehen wird. Das Klima existiert nur als „statistische Größe“ ohne ein natürliches Eigenleben, wie es das Wetter hat. Und was nicht existiert, kann keine Katastrophe auslösen. Es ist Angst vor dem „Zeitgeist“, wenn Ebert sagt, dass „Klimamodelle nicht die Realität abbilden“, aber dann einknickt und hinzufügt, dass man „trotzdem etwas über die grundlegenden Zusammenhänge des Klimas lernen“ könne. Was, das verschweigt er. Dann wieder eine Kehrtwende: „Schwarze Schwäne, Unschärferelation und Chaostheorie führen uns permanent vor Augen, dass die Zukunft niemals voraussagbar und planbar sein wird“. Dennoch hängen wir immer noch dem Modell des Laplace’schen Dämons, dem „Irrglauben eines berechenbaren Weltbildes“ an. Bei den meisten unserer Ansichten pfeifen wir auf Fakten, wir glauben einfach. Wir glauben vornehmlich das, was emotional ist und sich gut anfühlt. Wir sind blind gegenüber unserer eigenen Blindheit, wobei der Grad unserer Selbstüberschätzung oft mit dem Grad unserer Inkompetenz korrespondiert.

 

Das Buch ist in vier Hauptkapitel untergliedert: Privatleben, Arbeitswelt, Wissenschaft, Zukunft. Es endet mit der Science-Fiction „Zukunft is the future“! Die einzige Konstante ist der Wechsel. Die stetige Zunahme der „Entropie“ als Maß der Unordnung erkläre schlichtweg den Ablauf der Dinge: Geburt, Leben, Tod. Am Ende, in ein paar hundert Milliarden Jahren wird der Wärmetod des Universums“ eintreten. Ob die Apokalyptiker, die sagen, „Es kommt schlimm! Ganz schlimm“, deswegen so hoch gehandelt werden? Vielleicht rührt unsere Angst vor den Klimawandel daher, dass wir die südlichen Breiten verlassen haben, wo es das ganze Jahr reichlich zu essen gibt und man von der Hand in den Mund lebt. „Mit einer solchen Haltung können wir im Norden schlecht umgehen. Wahrscheinlich fürchten wir uns deswegen auch so sehr vor dem Klimawandel“. Doch dürfen wir nicht vergessen, dass jedem „Klimawandel“ ein nicht beeinflussbarer Wetterwandel vorangeht, wie die vielen Überschwemmungskatastrophen zu Beginn der „Kleinen Eiszeit“ zeigen. Hübsch ist der Hinweis auf das Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“, wo man sich der Angsttrompeter, der „Politiker, Versicherungsvertreter und Klimaforscher“ entledigte und diese auf einen „neuen Heimatplaneten“ verfrachtete.

 

Vince Ebert: „Es ist schon komisch. Unzählige Generationen vor uns haben sich abgemüht, dem Leben mehr abzutrotzen als das Allernotwendigste. Und nur einige Jahre in Wohlstand und Überfluss genügen, um im Erreichten nicht Glück zu sehen, das man steigern kann, sondern nur heillose Angst zu empfinden, wir könnten unsere Erde an die Wand fahren“.

Insgesamt ein lesenswertes Buch, das mit der scherzhaften Bemerkung endet: „Denn Erfolg ist wie ein Furz: Wenn du ihn erzwingst, geht’s meistens in die Hose.“

 

Oppenheim, den 6. April 2016                     Dipl.-Met. Dr. phil. Wolfgang Thüne

 

 

 

 

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