23thMärz

Buchbesprechung: AUST, Stefan: Zeitreise, Die Autobiographie; Piper Verlag; München 2021; 52 Abbildungen; ISBN 978-3-492 07007-2; 655 Seiten; 26,00 EURO

In einer internen Bewertung zu meinem Abitur schrieb mein Lehrer; „Eine gewisse Oberflächlichkeit, jugendlicher Überschwang und altersgemäße Protesthaltung führen zu leicht negativer, ablehnender Beurteilung von Lebensfragen… er ist sehr skeptisch… Ehrgeiz und Tatkraft führen zu selbständiger publizistischer Betätigung. Gegenüber Älteren ist er gelegentlich respektlos und herausfordernd.“ Diese Charakterisierung ist weitestgehend zutreffend, auch nach 75 Jahren.

Stefan Aust wurde als erstes von fünf Kindern am 1. Juli !946 in Brunshausen in eine bürgerliche Familie geboren und lebte nach der Devise „Allens mien“. Schwinge und Elbe waren unser Revier, auch nach der Sturmflut im Februar 1962. Nach dem Besuch der „Zwergschule“ wechselte er ins Athaneum nach Stade, wo er bei der Schülerzeitung „Wir“ die Finanzen übernahm. Er beschrieb seine Situation wie folgt: „Es lag etwas in der Luft, ein Hauch von Aufklärung und Rebellion: Man war nicht eigentlich links, eher ein wenig anaecholiberal, kritisch nach allen Seiten.“ Das Dezemberheft 1964 trug das Motto: „Als Sprachrohr der Jugend veröffentlicht WIR frank und frei die Beobachtungen und Gedanken junger Menschen.“ Mit so viel Erfolg, dass konkret-Herausgeber Klaus Rainer Röhl ihm eine Stelle anbot, wo er Layouts entwerfen und redigieren lernte. Die Kolumnen schrieb Ulrike Meinhof. Damit war Aust in dem Milieu, in dem er Rudi Dutschke kennenlernte und seine Grundhaltung als „skeptisch“, gegen die Regierenden als auch deren Gegnern, bezeichnete: „Die meisten von denen hätte ich nur ungern an der Macht gesehen.“

 

Ein hochinteressantes Leben begann, angefangen mit dem Schah-Besuch im Frühling 1967, dem Attentat im April 1968 auf Rudi Dutschke, der Springer-Demonstration, der Radikalisierung der „Bewegung“, der Scheidung von Röhl und Meinhof, doch dann entschied sich Aust „zu gehen“. Er wurde sehr gut bezahlt, hatte entdeckt, dass sich „sein politisches Sendungsbewusstsein“ in Grenzen hielt und ging in die USA. Er kaufte sich einen VW-Käfer und fuhr damit durch das weite Land, wo er Vertreter der Studentenbewegung, der Black Panther Party und der Weathermen-Bewegung traf. Doch dann brach er seine Reise und kehrte nach Deutschland zurück, um „die Landung auf dem Mond am 21. Juli 1969“ sich im Fernsehen anzuschauen.

 

Danach heuerte Stefan Aust bei den St. Pauli-Nachrichten an, machte den ersten Film zum Baader-Meinhof-Komplex, bekam Besuch von der RAF, ging SPIEGEL-Chef Rudolf Augstein in die Politik, trug das „mörderische Wüten Baaders und seiner Crew“, „Züge eines Metaphysischen Endkampfs“, beschrieb er „Deutschland im Herbst“ mit dem Massaker an Martin Schleyer. Damit endete das Kapitel „1946-1979“. Das Kapitel „1979-1994“ begann mit der „Strauß-Affäre“, behandelte das „Drehkreuz Ost-Berlin“, „Die Hausbesetzer-Szene“, die „Hitler-Tagebücher“, den Stammheim-Film, die Barschel-Affäre. Das Projekt Spiegel TV startete, der Untergang der DDR nahte, der „Demokratische Aufbruch“ bahnte sich an, endete mit dem „Tag der Einheit“ und mündete im „Putsch in Moskau“. Mit „NSU – die Vorgeschichte“ und der „Hinrichtung in Bad Kleinen“ endete es!

 

Mit 1994 beginnt für Stefan Aust die Zeit als Chefredakteur von Spiegel TV und dann des Spiegel. Er feierte gerade seinen 50. Geburtstag und erhielt von Rudolf Augstein ein Gedicht: „Lieber Aust, ball die Faust aber in der Tasche. Reite fix zum Grand Prix sonst greifst Du zu der Flasche.“ Doch es kam anders, der Spiegel avancierte zur „Nummer eins der Wochenmagazine“. Dann erhielt Aust von Fritz Vahrenholt, einem Kritiker der „Verspargelung“, den Auftrag, sein Buch „Kalte Sonne“ zu präsentieren und meinte mit Luther „Mönchlein, du gehst einen schweren Gang“. Der feste Glaube an die „Klimakatastrophe ist nämlich so etwas wie ein Glaubensbekenntnis aller Umweltschützer. Wer Zweifel anmeldet, gilt als Klimaleugner“. Dann kritisiert Aust die „Allianz gegen die Rechtschreibreform“. Im Wahlkampf um die Macht im Spiegel sagte Aust: „Wahrhaftigkeit nach innen und nach außen ist das höchste Gut des Spiegel“.

 

Am Tag der Uraufführung seines Films „Der Baader Meinhof Komplex“, am 25.9.2008, wurde ein „Anschlag auf Aust Villa in Blankenese“ verübt. Einige Fenster waren zersplittert, an der Wand liefen rote und schwarze Farbkleckse herunter. Das letzte Kapitel „2009-2021“ begann mit „Die Falle 9/11“ und „Obamas Krieg“ sowie „Ein Sender zu verkaufen“.  Er hieß „N24“, Stefan Aust schlug zu!  Dann folgte „NSU – das mörderische Mysterium“ und „Kanzlerin ohne Grenzen“, wo Merkel bei Anne Will ihre Abgehobenheit demonstrierte: „Ich, die Moral und das Volk. Hier sitze ich, ich will nicht anders.“ Dann wurde Aust zum Chefredakteur der Welt-Gruppe, – die Welt, Welt-Online, Welt am Sonntag! Zum 70. Geburtstag sagte Springer-Chef Mathias Döpfner: „Stefan Aust, Gefühlsduseleien liegen ihm nicht. Recherche ist seine Religion. Unerschrockene Political Incorrectness ist sein Wesensmerkmal und Erfolgsgarant! Und wem das nicht passt, ja, „Das Leben ist kein Ponyhof“!

 

Heinrich Heine schrieb 1843 in seinem „Deutschland, ein Wintermärchen“ die Sätze „Franzosen und Russen gehört das Land, das Meer gehört den Briten. Wir aber besitzen im Luftreich des Traums die Herrschaft unbestritten“. Träume und Albträume sind aus demselben Stoff, der Abwendung von der Wirklichkeit. Dann quasi über Nacht erstrahlte ein neuer Stern über der Erde und Greta Thunberg übernahm die Regie auf der politischen Horrorbühne. Stefan Aust schrieb: „Irrationalität,

häufig wissenschaftlich untermauert, ist gerade das Kennzeichen der Gegenwart geworden, im Land der Träume und Albträume.“ Der Ruf verhallte. Greta Thunberg gründete „Fridays for Future“ und stieg kometenhaft in die höchsten geistigen und politischen Gipfel. Aust warnt: „Grüne dürfen träumen, das gehört zu ihrer DANN. Sie dürfen sich auch in apokalyptischen Visionen gruseln. Doch wenn der Rest der politischen Klasse mitträumt, wird es ernst. Und Gretas ansteckende Panik wird unser Problem.“

 

Stefan Aust ist ein außergewöhnlicher, eloquenter und authentischer Mann! Er hat ein meisterhaftes und sehr lesenswertes Buch geschrieben. Wir brauchen mehr Stefan Aust mit der Gabe „Man is a problem solving animal“!

 

Dr. Wolfgang Thüne, Diplom-Meteorologe

Oppenheim, den 20.März 2022

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