30thSeptember

Buchbesprechung

Helmut Böttiger: Wertewandel durch die 68er-Generation, Bekenntnisse eines „geistigen Terroristen“, Imhof Verlag, Petersberg 2015, 252 Seiten, ISBN 978-3-7319-0049-8, 14,95 Euro

 

Auch wer den Autor nicht, kennt, wird von diesem Buch gefesselt sein. Es ist ein tiefer Blick in die persönlichen Lebenserfahrungen eines aktiven Zeitzeugen, der zum Nachdenken anregt und Einblicke in das Zeitgeschehen offenbart, die sehr hilfreich sind, heutige politische Vorgänge besser verstehen und bewerten zu können, trotz der Umwertung aller Werte. Nach dem ersten Staatexamen 1965 in evangelischer Theologie war Böttiger als „Religionslehrer“ Vikar der Rheinischen Kirche. Er wohnte in Wesseling und wurde Aktivist bei der SDS-Hochschulgruppe in Bonn. Er schildert sehr anschaulich deren Innenleben, insbesondere der internen Gruppenschulung. Werke von Marx, Hegel wie auch dem „Sozialreformer“ John Stuart Mill standen auf dem Lehrplan.

Doch vom Schuldienst wurde er bald suspendiert und heuerte bei der Gewerkschaft ÖTV an, aber auch diese Aufgabe war befristet. Danach nahm er ein Studium für das Lehramt auf und unterrichtete danach neben Religion das Fach „Hinführung zur Arbeits- und Wirtschaftswelt“ an einer Gesamtschule in Fröndenberg. Man experimentierte dort mit „integriertem“ Unterricht in Großgruppen von 120 Schülern. Seine nächste Station bei dem „Marsch durch die Institutionen“ war die Universität Bielefeld, wo er promoviert wurde. Aber eine Anstellung wurde ihm versagt, weil auch in der „linken Szene“ starke Differenzen existierten und Helmut Böttiger ob seiner Gradlinigkeit stets aneckte. Eigenständiges Denken hatte ihn ins Abseits geführt. Der SDS wurde 1969 ausgelöst, aber er lebte in „Republikanischen Clubs“ weiter.

 

Was das Buch auszeichnet, ist die im Kapitel „Aus Rot wird Grün“ bestens mit Quellen belegte Schilderung, wie die linke marxistische Bewegung langsam in eine grüne marxistische Bewegung mutierte. Man musste nur sozialistisch durch ökologisch zu ersetzen. Beide Bewegungen einigte insgeheim das Ziel einer „stationären“ Gesellschaft, eines „Gleichgewichtssystems“, um die Entwicklung der Produktivkräfte zu stoppen. Beide verfolgten aus verschiedenen Perspektiven das Ziel, das kapitalistische System oder gleich die Industriegesellschaft mittels einer „Großen Transformation“, wie sie heute vom WBGU, dem Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen gefordert wird, abzuschaffen.

 

Über die Idee des Nullwachstums, die Antiatom- und Friedensbewegung konvergierten beide Weltanschauungen zur „grünen Bewegung“, die insbesondere ab 1969 durch das Innenministerium mit Hans Dietrich Genscher, seinem Staatssekretär Hartkopf, dem Abteilungsleiter Menke-Glückert und dem Beamtenapparat betrieben wurde. Man musste nur das grüne Chaos bändigen und gestandene kommunistische Kader in die grüne Bewegung einzuschleusen. Das waren Joschka Schmierer vom KBW, Jürgen Trittin vom KB und Joschka Fischer von der „Proletarische Union für Terror und Zersetzung“. Sie tarnten sich als „Realos“ und säuberten die Grünen von rechts-konservativen Leuten wie Herbert Gruhl. Dass die mit Hilfe der FDP 1980 gegründete Partei „Die Grünen“ bald die FDP überflügeln würde, war ein nicht gewollter Kollateralschaden. Man wollte neben Willi Brandt und der SPD, der den „blauen Himmel über der Ruhr“ als Slogan geprägt hatte, glänzen und Umwelt-Macht gewinnen. Im Prinzip war die Kalkulation richtig, denn mit der „Endlichkeit von Erde samt Ressourcen“ war durchaus Politik zu gestalten und zu machen. Sozialistisch war der Gedanke, dass „wir alle ärmer werden sollen“ um die Welt retten und überleben zu können.

 

Böttiger blieb seiner „linken“ Linie zugunsten der Arbeiterklasse treu und schloss sich den „European Labor Committees“ an, einer linken Arbeiter-Organisation von LaRouche (USA), die in Europa Fuß fassen wollte. Doch alle Versuche von LaRouche, politisch Einfluss zu gewinnen, ob als „Europäische Arbeiterpartei“, als „Patrioten für Deutschland“ oder „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ scheiterten. Das betraf auch den Autor, der dann Verleger und Autor wurde. Was das Buch lesenswert macht, ist der Blick hinter die Kulissen des politisch-intriganten Tagesgeschäfts, der die Augen öffnet für Zusammenhänge, die nicht in der Schule gelehrt werden und die von den Medien ganz bewusst verschwiegen werden.

 

Das Buch ist authentisch, glaubwürdig und sehr lehrreich und kann nur empfohlen werden

 

Oppenheim, 1. Oktober 2015                                                                                  Wolfgang Thüne

Comments are closed.